Ein mutiger und steiniger Weg zurück
Führungskraft werden und die Karriereleiter zu erklimmen, ist für viele ein verlockendes Ziel.
Mehr Einfluss, mehr Geld und mehr Ansehen sind häufig die Antriebsmotoren zur Erreichung
dieses Ziels.
Der Wechsel von der Fach- zur Führungskraft bedeutet für die beförderten Angestellten oft
Chance und Stolperstein zugleich. Die neue Aufgabe hat mitunter nur noch sehr wenig mit
der ursprünglichen Fachqualifikation zu tun. Langjährige Erfahrungen reichen nicht mehr aus,
um der neuen Herausforderung gerecht zu werden.
Wer jetzt feststellt, dass er für die neue Rolle nicht geeignet ist oder sie nicht ausfüllen
möchte, sitzt meistens in der Falle. Denn der Weg zurück zur Fachkraft ist – ohne
Gesichtsverlust – nahezu unmöglich. Nur die wenigsten finden den Mut, einen oder mehrere
Schritte zurück zu gehen. Unser Coachee hat es gewagt – und ist heute glücklicher denn je
zuvor.
Und so begann ein mutiger aber auch steiniger Weg:
Der Geschäftsführer eines öffentlichen Verkehrsunternehmens bat mich um Unterstützung
im Umgang mit seinen Mitarbeitern.
Nach einem ausführlichen Anamnesegespräch und der ersten Sitzung kristallisierte sich
heraus, dass die Basis seiner Probleme darin lag, dass er auf seine neue Position nicht gut
vorbereitet war.
Bis zum Zeitpunkt seiner Beförderung war er eine sehr zufriedene und erfolgreiche Fachkraft.
Seine hervorragenden Fachkenntnisse, seine Leidenschaft für die öffentlichen Verkehrsmittel
und sein außergewöhnliches Engagement, führten dazu, dass ihm die Position des
Geschäftsführers angeboten wurde. Darüber erfreut, dass man seine Leistungen zu würdigen
wusste, nahm er das Angebot an – ohne eine genaue Vorstellung davon zu haben, was die
Führungsrolle wirklich bedeutet.
Nach der ersten Euphorie kam schnell die Ernüchterung. Sein umfangreiches Fachwissen war
nicht mehr die einzige Kompetenz, die er benötigte, um erfolgreich zu sein. Seine neue Rolle
verlangte nun auch einiges an Kommunikations- und Sozialkompetenz, um professionell mit
dem menschlichen Mit- und Gegeneinander umzugehen. Und an diesem Punkt kam er schnell
an seine Grenzen.
Als Fachkraft brachte er weiterhin gute Leistungen, doch die Rolle der Führungskraft füllte er
nur „nebenbei“ aus. Sein Team reagierte entsprechend mit Unmut und schlechten
Leistungen. In der Folge stellte er nach einigen Monaten fest, dass er mit der Führungsrolle
nicht zurechtkam und unglücklich war. Er war verunsichert und unzufrieden und sogar seine
fachbezogenen Leistungen ließen nach. Die gut gemeinte Beförderung führte nicht zu neuer
Motivation, sondern vielmehr zu Frust und Kündigungsgedanken.
Um meinen Coachee bei der Bewältigung seiner neuen Aufgaben zu unterstützen, trainierten
wir diverse Kommunikations- und Führungskompetenzen, sodass er deutlich sicherer wurde
im Umgang mit seinem Team.
Dennoch fiel mir auf, dass er nicht glücklicher, sondern unglücklicher wurde. So stellte ich ihm
eines Tages die Frage: „Wenn du heute – unabhängig von Vorkenntnissen und Meinungen
anderer – einen Beruf ergreifen könntest, von dem du denkst: Yes! Das macht mich glücklich!
Was wäre das?” Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: „Busfahrer!“. Sofort
begannen seine Augen zu leuchten und ich sah ihn zum ersten Mal ganz gelöst und …
lächelnd!
Auf meine nächste Frage: „Was hält dich dann davon ab, zukünftig als Busfahrer zu arbeiten,
wenn du glaubst, dass dich dieser Beruf glücklich machen wird?“ antwortete er:
Meine Eltern, meine Freundin und mein Arbeitgeber würden mich nicht nur für verrückt erklären, sie wären auch sehr enttäuscht von mir. Und es wäre ja auch verrückt. Ich habe soviel Zeit und Energie in Studium und Arbeit gesteckt. Das wäre dann alles umsonst gewesen.
Im Coaching haben wir uns dann unter anderem damit beschäftigt, ob seine Annahme, dass
alle von ihm enttäuscht sein würden, in der Realität überhaupt Bestand hat und uns mit der
Frage „Wem gehört dein Leben?“ auseinandergesetzt. Mit zunehmender Auseinandersetzung
mit der Gesamtthematik wurde ihm immer klarer, dass er keine Führungsrolle mehr
übernehmen wollte.
So gelang es ihm, sich gegenüber seinem Umfeld zu „outen“. Sein Umfeld war übrigens nicht
so überrascht oder gar enttäuscht wie er vermutet hatte. Er selbst wagte den (Um-)Bruch erst
mit einem kleinen Schritt, indem er (nach bestandener Prüfung) probeweise nur an den
Wochenenden als Busfahrer arbeitete. Aus der Probephase wurde sehr schnell eine
Vollzeitbeschäftigung.
Zu Beginn fuhr er als Angestellter eines privaten Busunternehmens Teilstrecken im öffentlichen Personennahverkehr in München. Recht schnell hat ihn der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG aufgrund seiner sehr guten Fahrwerte abgeworben. Mittlerweile wurde sein Verantwortungsbereich ausgedehnt. Er ist für das Onboarding neuer Busfahrer verantwortlich und trainiert diese auf schwierigen Teilstrecken im Münchner Stadtverkehr.
Ein paar Fakten
Nach der Stepstone-Studie „Vom Mitarbeiter zum Chef: Der Sprung ins kalte Wasser“ wären
27 % aller Führungskräfte gerne wieder als Fachkraft ohne Personalverantwortung tätig,
fürchten jedoch den Reputationsverlust.
In Deutschland – insbesondere im Mittelstand – herrscht immer noch ein sehr konservativer
Ansatz im Bereich der Führung vor. Die meisten Führungskräfte verdanken ihren Aufstieg
ihrer Fachkompetenz. Persönliche Führungseignung wird kaum berücksichtigt, ebenso wenig
werden zukünftige Führungskräfte auf ihre zukünftige Führungsrolle vorbereitet. Die oben
genannte Studie weist auf, dass 35 % aller Führungskräfte ins kalte Wasser geworfen werden ohne Vorbereitung oder Training.
Nur 15 % aller befragten Führungskräfte wurden im
Vorfeld auf das Thema vorbereitet, obwohl 80 % eine Fortbildung als notwendig erachten.
Immerhin erhalten rund 35 % innerhalb des ersten Jahres nach Beförderung eine Fortbildung,
10 % machen diese sogar auf eigene Kosten.
Noch gar nicht berücksichtigt ist dabei die Sondersituation, wenn ein Mitarbeiter innerhalb
eines Unternehmens befördert wird und auf einmal den ehemaligen Kollegen vorgesetzt ist.
Wie verhalten sich die Kollegen, die vielleicht selbst auf den „Chef-Sessel“ spekuliert
haben? Wie verhält man sich als neue Führungskraft gegenüber den Kollegen, mit denen man
gestern noch private Probleme geteilt und ein Bier getrunken hat? Wer sich mit diesen
Fragestellungen nicht im Vorfeld auseinandersetzt, hat das Verhältnis zu seinen Mitarbeitern
gleich von Anfang an negativ beeinträchtigt.
Und auf einmal werden Führungskräfte damit konfrontiert, sich um Mitarbeiter zu kümmern
und diesen Interesse entgegenzubringen. Die wenigsten haben sich im Vorfeld Gedanken
dazu gemacht, ob sie das können. Und ob sie das wollen. Wenn es dann nicht so läuft, schiebt
man die unliebsamen Aufgaben zur Seite oder nach hinten und beschäftigt sich mit den
Dingen, die man gut beherrscht und die einem ein Erfolgserlebnis vermitteln: häufig
Fachaufgaben. Dies ist noch nicht einmal zu kritisieren, sondern ein ganz normaler Reflex.
Mitarbeiterzufriedenheit hängt überwiegend von Führungskraft ab
Neue Führungskräfte werden nicht nur von ehemaligen Kollegen mit Argusaugen beobachtet.
Auch wenn der Aufstieg bei einem neuen Arbeitgeber beginnt, spielt die
Mitarbeiterzufriedenheit eine große Rolle und fällt auf die Führungskräfte zurück.
Die Mitarbeiter stellen fest, dass ihre Chefs häufig gestresst (33 %) und somit nicht oder nur
bedingt ansprechbar sind. Außerdem beschäftigen sie sich mit zu vielen Dingen gleichzeitig
(45 %) und haben somit zu wenig Zeit, um sich mit ihren Mitarbeitern auseinanderzusetzen –
zeigt eine aktuelle Forsa-Umfrage.
Gallup zeigt in seinem jährlichen „Engagement Index“ auf, dass rund 14 % der Mitarbeiter in
deutschen Unternehmen innerlich gekündigt haben (Wert des Jahres 2018). Laut Forsa
denken über 30 % der Angestellten in Deutschland über eine Kündigung nach, rund die Hälfte
aller befragten Mitarbeiter geht zumindest zeitweise ungern zur Arbeit. Häufigster Grund
hierfür: Der direkte Vorgesetzte und die Beziehung zu ihm.
Business ist nichts anderes als ein Knäuel menschlicher Beziehungen
Lee Iacocca
Kulturwandel notwendig
Unsere Arbeitskultur ist nicht nur darauf ausgerichtet aus falschen Gründen zu befördern. Das
Thema „Führungsverhalten“ wird häufig mit einer Alibi Veranstaltung oder Fortbildung
abgetan. Es gibt schließlich Wichtigeres zu tun: Umsatz machen. Die Forsa-Umfrage deckt auf:
Führungskräfte setzen nur 20 % ihrer Zeit für Führungsarbeit ein.
Aufgrund des Fachkräftemangels – und dieser wird sich aufgrund der demografischen
Entwicklung nicht mehr verringern – rücken Führungsanforderungen jedoch verstärkt in den
Vordergrund. Wie soll man Umsatz generieren, wenn keiner mehr da ist, um die Aufträge
abzuarbeiten?
Hier stehen wir allerdings erst am Anfang der Entwicklung. Zwar gewinnen KPIs wie
Mitarbeiterzufriedenheit, Fluktuations- und Krankheitsquoten an Bedeutung, spielen aber
noch keine wesentliche Rolle bei der Bewertung von Führungsleistungen. Ob ein Vorgesetzter
lobt oder Informationen teilt, wird so gut wie nie hinterfragt. Dies sind aber die wesentlichen
Gründe, wenn Mitarbeiter aufgrund des Vorgesetzten den Job wechseln. Auch finden sich in
keiner Bilanz Kennziffern dazu, welche Kosten Neubesetzungen und Personalwechsel
verursacht haben oder wie die Leistungseffizienz sich ändert, wenn die Stammbelegschaft
ständig damit beschäftigt ist, neue Kollegen einzuarbeiten, die dann ohnehin nicht bleiben.
Fazit
Es ist also höchste Zeit, stärker in die Fortbildung und Entwicklung von Führungskräften zu
investieren. Und nicht nur in die. Will man als Unternehmen eine neue Führungskultur
implementieren und den Wünschen der Mitarbeiter nach mehr Feedback, Teilhabe und
Mitbestimmung gerecht werden, müssen auch diese weiterentwickelt und geschult werden.
Ansonsten sind sie nicht in der Lage, die Verantwortung zu tragen, die ihnen progressive
Vorgesetzte übertragen.
Auch unser Wertesystem gilt es zu überdenken. Es muss uns bewusster werden, dass man
auch als Fachkraft Karriere machen sowie Leistung erbringen und dabei glücklich sein kann.